St. Meinrad

Mönche aus Einsiedeln gründeten im Jahr 1854 das Benediktinerkloster St. Meinrad im südlichen Indiana. Noch heute strahlt die Klostergemeinschaft eine grosse Vitalität aus. Ein Besuch im Archiv.

Die Klosteranlage liegt idyllisch in einer parkähnlichen Landschaft im südlichen Indiana, nur wenige Autominuten vom Ohio River entfernt. Die Gesamtanlage ist ähnlich imposant wie der Bau in Einsiedeln. Zum Ensemble gehören wie in Einsiedeln neben der Kirche auch ein Priesterseminar und eine theologische Schule sowie angegliederte Ökonomiebetriebe. St. Meinrad ist bekannt für seine Druckerei («Abbey Printing») und die Sargschreinerei («Abbey Casket»). Und doch ist St. Meinrad ganz anders als Einsiedeln. Irgendwie bescheidener, ohne barocken Prunk.

In der Bibliothek begrüsst uns Pater Timothy Sweeney mit festem, fast schmerzendem Händedruck. Pater Timothy, geboren in Indianapolis, war der siebte Abt von St. Meinrad und führte die Geschicke des Klosters für siebzehn Jahre von 1978 und 1995. Man vermag sich diesen grossen, heiteren Mann mit den träfen Sprüchen nur schwer als Erzabt vorzustellen. Ob ihm wohl gewesen ist in diesem Amt? Ob er bei repräsentativen Anlässen würdig durch weite Kirchenräume schreiten konnte?

Pater Timothy zeigt uns das Klosterarchiv, für welches er zuständig ist. Hunderte von Schachteln im klassischen Archivgrau. Auf den Tischen Bücher, Papiere und Akten, zu Türmen aufgeschichtet. Wir interessieren uns für die Briefkorrespondenz zwischen St. Meinrad und Einsiedeln aus den ersten Jahren der Klostergründung. Pater Timothy beginnt zu suchen.

Pater Timothy spricht fliessend französisch. Er studierte in den 1960er Jahren in Paris Philosophie. Sein Deutsch hingegen beschränkt sich auf ein paar Sätze, welche vor allem aus amerikanischen Spielfilmproduktionen über den Zweiten Weltkrieg stammen, wie er sagt. Daher stammt wohl auch der schneidende Befehlston, in welchem er die Wörter hinausbellt.

Arbeit! Forschung! Mach schnell!, sagt er laut, als er uns die Dossiers mit den Briefen aus der Pionierzeit des Klosters reicht.

Mönche aus Einsiedeln gründeten St. Meinrad im Jahr 1854 inmitten einer dünn besiedelten Gegend. Das Farmland musste erst noch in mühsamer Arbeit der Natur abgetrotzt werden.

Die Idee der Pioniere war, eine Art «Neu-Einsiedeln» zu gründen, ein katholisches Zentrum, welches sich der seelsorgerischen Betreuung der deutschsprachigen Katholiken widmen sollte, welche damals ins Land strömten. Die Siedler sollten vor dem Fall in Evangelikalismus und Barbarei geschützt werden.

Das benediktinische Modell, Kloster mit angegliederter Schule, wollte man in die Neue Welt verpflanzen. «Die Erziehung der Jugend», schrieb Pater Ullrich Christen, einer der Pioniere, im März 1853 an den Dekan in Einsiedeln, werde man bald möglichst einleiten, «so dass wir auch hier mit der Zeit den jungen Yankees werden könnten, was unsere Patres in Einsiedeln der vaterländischen Jugend sind.»

Die hochtrabenden Pläne mussten freilich bald der Realität angepasst werden. Der Anfang war voller Mühsal. «O da ist viel der Arbeit», seufzte Pater Ullrich in einem späteren Brief und berichtete von elend langen Pferderitten «ohne Sattel und Zaum» und Kindern, welche «keine Gebote Gottes wussten und noch nie gebeichtet hatten.» Gar die Hostien musste Pater Ullrich selber backen.

Nach einiger Zeit ging es bergauf. 1870 erhielt St. Meinrad den Status einer Abtei. Die ersten drei Äbte Martin Marty (1834-1896, Schwyz), Fintan Mundwiler (1835-1898, Zürich) und Athanasius Schmitt (1860-1932, Bayern) waren noch alle in Europa geboren und deutschsprachig.

Doch auch später brach der Kontakt mit dem Mutterkloster nie vollständig ab. Einsiedeln ist präsent in St. Meinrad. In der um 1900 erbauten Klosterkirche steht in der einen Ecke eine Kopie der Schwarzen Madonna von Einsiedeln, ein Geschenk des Mutterklosters zum 100-jährigen Jubiläum, in einer anderen Ecke sieht man an einem hölzernen Seitenaltar eine barock eingefasste Reliquie (ein Fingerknochen) des heiligen Meinrad. Heute zählt die Gemeinschaft von St. Meinrad mehr als 90 Mönche – mehr als in Einsiedeln.

Pater Timothy selbst war schon mehrer Male in Einsiedeln. Aber nie länger als ein paar Wochen. Unter anderem im Sommer 1984, als Papst Johannes Paul II. das Kloster besuchte. Einsiedeln sei für ihn immer eine angenehme Zwischenstation gewesen zwischen Irland, wo seine Familie herstammt, und Rom, sagt er. Seit den 1970er Jahren besteht die Tradition eines regelmässigen Studentenaustauschs zwischen St. Meinrad und Einsiedeln. Alle Theologiestudenten am klostereigenen Seminar gehen während ihrer Ausbildung für ein Jahr nach Einsiedeln und umgekehrt. Dadurch entstehen enge persönliche Bande. Pater Timothy spricht lachend von einer «Mafia».

Plötzlich steht Pater Timothy ruckartig auf, als ob er einen wichtigen Termin vergessen hätte. Er müsse gehen, «schnell!», sagt er, es gebe auch andernorts noch «Arbeit!» zu erledigen. Er verabschiedet sich mit festem Händedruck und lässt uns in der Ruhe der Bibliothek zurück, wo die Teppiche alle Geräusche dämpfen.
 
Literatur und Quellen

  • Kleber, Albert, History of St. Meinrad Archabbey 1854-1954, St. Meinrad 1954.
  • Saint Meinrad Archabbey Archive, Pioneer Letters (ab 1853).
  • Yock, Peter, The role of St. Meinrad Abbey in the formation of catholic identity in the diocese of Vincennes, 1853-1898, Evansville 2001.

St. Meinrad

  • 1854 von Mönchen aus Einsiedeln gegründet
  • Seit 1870 ist St. Meinrad eine Abtei
  • Über 90 Mönche leben heute im Kloster
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