Jeff Haeberlin, Gruetli Helvetia Society

Der Schatzmeister der Gruetli Helvetia Society in Louisville empfängt uns im gemütlichen Haus, das er von seinen Grosseltern übernommen hat. Eine grosse Schaukel gleich beim Eingang lädt an diesem heissen Sommerabend zur Siesta ein.

Jeff Haeberlin, der 50-jährige Patent-Anwalt hat Schweizer ­Wurzeln. Aus welchem Kanton seine Vorfahren herkommen, weiss er allerdings nicht genau. In den Urkunden steht ­einfach ­«Switzerland». Aber der Nachkomme von ­Einwanderern in der dritten Generation fühlt sich als Amerikaner, ein­gefleischter ­Baseball- und Louisville-Football-Fan und als Schweizer - genau in dieser Reihenfolge!

Eingeschriebenes Mitglied in der Gruetli Helvetia Society ist er dank seines Vaters schon von Geburt weg. Aber erst seit dem College-­Abschluss engagiert er sich aktiv. Heute gehören noch rund 120 Männer mit Schweizer Hintergrund - viele davon auch mit Ein­siedler Wurzeln - der Vereinigung an. «Ich bin der Jüngste im Vorstand. Die meisten sind in den 80ern, und das älteste Mitglied, Dominic Ehrler, wird in diesem Jahr hundert Jahre alt.» Die Swiss Hall, das Haus der Schweizer in Louisville, war während Jahrzehnten die «Heimat» der Gruetli Helvetia Society und ganz allgemein der Schweizer Einwanderer in Louisville.

Immer wieder tauchen in unseren Interviews Erinnerungen an ­diese legendäre Swiss Hall auf, in welcher grosse Festivitäten, das Swiss Picnic im August, die Weihnachts- und Tanzpartys, aber auch die sonntäglichen Meetings nach dem Besuch des Gottes­dienstes stattfanden. Jeff: «Wir mussten die Swiss Hall aus ­finanziellen Gründen 1993 leider verkaufen.»

Wo früher eine Bar offen war für die Gäste, wo neben Bowling auch Karten und Pingpong gespielt, getanzt, gesungen, gefeiert und gegessen wurde, erinnert nichts mehr an Schweizerisches - nur noch die Aufschrift am Haus. Mit dem Schwinden der Mitgliederzahl war mit der Zeit kein Halten der Liegenschaft mehr möglich.

«Als Anwalt und verantwortlich für die Finanzen war mir klar: Wir mussten Haus und Park, die ganze Liegenschaft verkaufen. Wir verloren Geld mit dem Anwesen. Das war natürlich schade, aber unumgänglich.» Es gab immer weniger Schweizer Anlässe. Die Society mietete in der Nachbarschaft ein Lokal, seit sieben Jahren nun in der Mooselodge. Hier finden an jedem ersten Mittwoch im Monat die traditionellen Treffen statt. Zwischen 20 und 30 Mitglieder sind in der Regel dabei, im Juni und ­Dezember sind die grossen Meetings mit einem Buffet. Da kommen dann immer viel mehr Leute - so 50 bis 80.

Die Gruetli Helvetia Society ist eine reine Männer-Organisation. Die Frauen sind in der Swiss Ladies Society aktiv, und dann gibt es noch die Swiss Charity Society - alle drei funktionieren ­völlig unabhängig. Nur bei den grossen Events kommen alle zusammen. «Meines Wissens sind die Gruetli Helvetia Society und die beiden zugewandten Vereine die einzigen heute noch existierenden Schweizer Organisationen hier in Louisville. Ich hätte sicher davon gehört, wenn es noch weitere geben würde.»

Die monatlichen Anlässe sind genau strukturiert, und der ­offizielle Teil dauert in der Regel zwischen fünfzehn und zwanzig Minuten. Nachher wird informell zusammen gegessen und getrunken. «Wir folgen unseren Traktanden, berichten beispielsweise, wenn jemand gestorben ist, legen dann eine Schweigeminute ein, informieren auch, wenn ein Mitglied ernsthaft erkrankt ist. Wichtig ist der Treueschwur («pledge of allegiance») jedes Mal - das ist ein offizielles Zeremoniell: Die Hand aufs Herz gelegt, schwören wir auf die amerikanische Flagge. Kennt man das in der Schweiz auch? Ich weiss es nicht.

Früher brachten die Leute noch die Schweizer Flagge an die ­Meetings mit, heute nicht mehr.» Jeff Haeberlin ist der Schatzmeister der Society, daneben gibt es ein Unterhaltungs-­Komitee, ein Mitglieder-­Komitee und andere. «Mitglied kann bei uns ­grundsätzlich jeder Mann werden. Wir prüfen, ob er Schweizer ­Abstammung ist - bei der Swiss Ladies Society sind es entsprechend Frauen mit ­Schweizer Wurzeln.»

Die Statuten der Society stammen aus dem Gründungsjahr 1850; das letzte Mal wurden sie 1993 angepasst. Mit allen Rechten und Pflichten, Aufgaben, Chargen und Verantwortlichkeiten sind sie in einem 23-seitigen Büchlein aufgeführt, das jedes Mitglied ­besitzt und an den Meetings auf sich tragen muss. «Wir legen viel Wert darauf, dass die Statuten befolgt werden. Neue Mitglieder haben auf diese zu schwören.»

Die Gruetli Helvetia Society hat das Projekt «Einsiedeln ­anderswo» von Anfang an unterstützt, und Jeff Haeberlin hat einen guten Anteil daran. Er fand spontan, das Konzept habe Potential. Einsiedeln kennt er. Auf seiner Europareise im 2012 durfte der Besuch im Klosterdorf absolut nicht fehlen. «Die Louisville-­Einsiedler ­erzählten immer mal wieder davon - und ich wusste, eher streiche ich einen anderen Ort auf meiner Reise als Einsiedeln! Aber ehrlich gesagt, ich war mir dann gar nicht so sicher, ob ich, trotz GPS, Einsiedeln überhaupt finden würde. Erst als ich das Schild an der Strasse in Biberbrugg sah, war ich beruhigt, dass die Richtung stimmte! Ich blieb zwar nur kurz da, war aber sehr beeindruckt, dass ein solch kleines Dorf ein so gewaltig grosses Kloster hat.»

Durch das «Einsiedeln anderswo»-Projekt erfuhr Jeff überdies, dass in Louisville viel mehr ­Schweizer leben, als er ursprünglich vermutete. «Ich dachte, dass wohl die meisten in unserer Vereinigung sind, aber das ist ja überhaupt nicht der Fall. Der Aufruf, sich für das neue Projekt zu melden, brachte noch eine grosse Zahl weiterer Schweizer Familien auf den Plan. Ich wünschte mir, dass zumindest die Kinder und Grosskinder unserer Aktivmitglieder neu zu ­unserer Organisation stossen. Das wäre schon ganz toll. Nachwuchs ist schwierig zu finden. Aber wenn durch das Projekt nur schon ein neues junges Mitglied Interesse zeigt, wäre das super - wer weiss!»

Swiss Picnic, 1933.
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